Über den Rücken Rezension

Bayerns Pferde Zucht & Sport 2009 Artikel:

Der Rücken des Pferdes ist für das Reiten die Basis, auf der der Reiter zum Sitzen kommt. Ohne „schwingenden„ Rücken geht sozusagen nichts. Ist dies ein Zufall, dass immer mehr Pferde in der heutigen Zeit steif, festgehalten und oft auch ungleich, d.h. nicht taktmäßig schreiten, traben und galoppieren? Gibt es Zusammenhänge zwischen modernen, elastisch schwingenden Sportpferden mit überdimensionalem Bewegungspotential und immer mehr auftretenden Rückenproblemen? Sind die Pferde und deren Rücken heute anfälliger? Oder wird heute schlechter geritten?

Diese Fragen drängen sich bei der täglichen Arbeit mit Pferden immer mehr auf. Als Ausbilderin, Turnierrichterin und Pferdebuchautorin werde ich immer öfter mit überdeutlichen Rückenproblemen bei verschiedenen Pferden konfrontiert. Seit vielen Jahren beschäftige ich mich speziell mit der Rehabilitation von rückenkranken Pferden. Durch therapeutisches Longieren und Beritt, Unterrichtserteilung der Reiter in diesen Techniken und kontinuierlicher Aufklärungsarbeit bei Kursen und Buchpräsentationen wurde schon vielen Pferden geholfen, sich wieder schmerzfrei und mit Spaß an der Arbeit zu bewegen. Bei der Rehabilitation von Pferden mit fortgeschrittenem Krankheitsbild arbeite ich seit geraumer Zeit mit dem Pferdephysiotherapeuten Herrn Jochen Lill zusammen. Wir veröffentlichen derzeit gemeinsam ein neues Buch beim Cadmos Verlag über die Rücken-Problematik und deren Abhilfe. Wir wollen informieren und helfen die Probleme zu lösen und vorzubeugen. Leider sind die Hintergründe über die Funktion und Ursache der Funktionsstörungen des Pferderückens bei vielen Reitern wenig bekannt. Dies betrifft nicht nur Freizeitreiter sondern auch Sportreiter. Heutzutage scheinen die Probleme verbreiteter zu sein als zu früheren Zeiten. Dem wollen wir nachgehen und in diesem Buch aufzeigen, dass die moderne Zucht die Pferde zwar mit immer dynamischeren, elastischeren Gängen ausstattet, damit aber auch gleichzeitig den extrem schwingenden Pferderücken immer anfälliger für Beschwerden macht. Diese Aussage soll in keiner Weise die züchterischen Leistungen schmälern, sondern klarmachen, dass beim Reiten der Pferde mehr Sorgfalt aufgebracht werden muss. Heute wird weniger Wert auf eine gründliche Basisausbildung des Reitersitzes und deren Einwirkung gelegt. Die Pferderücken aber verzeihen durch ihre Flexibilität und Sensibilität weniger Sitzmängel. Deshalb ist schonendes und angepasstes Reiten dringend von Nöten.

Wie kann man nun Rückenprobleme beim Pferd feststellen? Merkt man wirklich sofort, dass ein Pferd anfängliche Schmerzen im Rücken hat? Es gibt ja keine Schmerzenslaute von sich. Es gibt verschiedene Grade der Rückenproblematik und dadurch unterschiedliche Reaktionen, wie die Pferde ihr Unwohlsein zeigen. Die ersten Symptome sind nicht immer eindeutig. Wie bei uns Menschen auch führen ständige Rücken- und Nackenschmerzen beim Pferd zu Bewegungsunlust und im fortgeschrittenen Stadium zu Taktungleichheiten und schließlich Lahmheiten. Bei manchen Pferden äußert sich das Problem auch durch Unrittigkeit, Widersetzlichkeit, Schwierigkeiten beim Hufegeben, beim Rückwärtsrichten oder Schweifschlagen, Headshaking, Buckeln und sogar Steigen. Der Verlust des Vorwärtsdranges – das oft zu sehende so genannte Klemmen – ist bereits ein erstes Anzeichen für massive Blockaden der Muskulatur an der Wirbelsäule. Man kann zwar nicht alle Probleme am Pferd auf den Rücken schieben, aber in extrem vielen Fällen liegt hier die Ursache.

Taktunreinheiten sind ein deutliches Anzeichen für Rückenschmerzen. Anfänglich wird der Bewegungsradius des Pferdes im Hüftbereich etwas eingeschränkt. Nur das geübte Auge kann das ungleiche Vorschwingen im Hüft- und Kniebereich erkennen, denn der untere Gliedmaßenbereich fußt anfangs noch völlig normal auf. Um dies exakt erfassen zu können , sollte der Betrachter seine Position so wählen, dass er die Gliedmaßen des Pferdes von hinten sieht. Dies bedeutet, dass der Reiter das Pferd von dem Betrachter weg bewegt. Dies sollte möglichst auf gerade Linie erfolgen. Achten Sie auf die Kruppe. Hebt und senkt sich die Hüfte auf beiden Seiten gleichmäßig? Dann überprüfen Sie das Vorfußen von der Seite. Oftmals zeigt es sich auf einer Seite vermehrt, vor allem in Wendungen an der hinteren äußeren Gliedmaße. Erst im fortgeschrittenen Stadium, wenn das Pferd deutlich kurz-lang tritt, d.h. ein Hinterhuf fußt kürzer vor als der andere, sind die Taktfehler deutlich erkennbar. Im Schritt zeigt sich das kurz-lang durch ein unterschiedliches Vorfußen der Hinterhufe. Lassen Sie das Pferd im Mittelschritt geradeaus reiten. Blicken Sie auf den Abdruck des Vorderhufes im Sand und überprüfen Sie, ob der Hinterhuf auf beiden Seiten gleichweit überfußt. Erfolgt der Übertritt auf einer Seite deutlich kürzer, spricht man von kurz-lang Fußen. Die kürzer fußende Gliedmaße ist diejenige, die nicht mehr genügend elastisch ist, um weit vorzufußen. Dies entsteht, wenn sonst keine Stützbeinlahmheit im Gliedmaßenbereich vorliegt, aus dem oberen Hüft- und Rückenbereich. Es ist durchaus möglich, dass das Kürzertreten die Seite wechselt oder sogar beidseitig vorliegt, dann fußen beide Hinterhufe nicht mal in den Abdruck der Vorderhufe. Normal sollte eine Hufbreite Übertritt bei normal fleißigem Schritt sein. Übrigens ist es möglich, dass das Pferd das kurz-lang Treten nur unter dem Sattel zeigt, nicht aber beim Führen an der Hand. Ein weiteres Indiz für Rückenprobleme.

Das kurz-lang Fußen kann sowohl im Schritt wie auch im Trab auftreten. Im Trab können Sie ebenfalls den Abdruck der Vorderhufe beachten. Hierzu sollte das Pferd einige Zeit in der Bewegung auf beiden Händen beobachtet werden um in der schnellen Abfolge der Trabbewegung eine sichere Aussage abgeben zu können. Der Hufabdruck im Sand gibt meist eine sichere Auskunft. Im Galopp kann das Pferd zwar auch mit einem Hinterbein kürzer fußen, hier ist die Taktproblematik aber kaum zu erkennen und erfühlen. Dennoch ist die Bewegung des Pferdes auch hier eingeschränkt und verursacht unter Umständen Schmerzen.

In Dressurprüfungen spricht man hierbei von Taktproblemen. Die Richter können in der Kürze der Prüfung nicht entscheiden, ob das Pferd diese aufgrund von Verspannung zeigt oder richtiggehend lahm ist. Es ist auch nicht Sache der Richter, dies festzustellen, sondern die des Tierarztes. Lahmheiten können das Endstadium einer nicht behandelten Taktungleichheit sein. Meist sind bereits röntgenologische Veränderungen an Gliedmaßen oder am Thorax zu erkennen. Rücken- und Nackenschmerzen äußern sich oft schon beim Putzen und Satteln. Das Pferd mag es nicht, wenn Sie es am Rücken putzen und beim Satteln wird es richtig unangenehm, fletscht die Zähne, stampft mit den Hufen. Streichen Sie mit Ihren Händen den Rücken des Pferdes entlang, geht es vielleicht sogar in die“ Knie“. In diesem Fall ist oftmals der muskuläre Bereich des Rückens massiv betroffen. Auch der Nacken des Pferdes kann schmerzen und das Pferd daran hindern, willig am Zügel zu gehen und sich leicht stellen und biegen zu lassen.

Wo liegen nun die Ursachen der Rückenschmerzen? Die Ursache kann unter anderem an einem unpassenden Sattel liegen. Über längere Zeit hinweg verändert sich die Muskulatur des Pferdes an den Stellen, auf die der Sattel zu starken, ungleichmäßig verteilten Druck ausübt. Unter Druck kann keine Muskulatur aufgebaut werden. Im Gegenteil schwinden die Muskeln hier vermehrt. Man spricht dabei von Muskelathropie. Der Sattel drückt dadurch immer mehr. Hierin kann die Ursache eines anhaltenden Rückenschadens liegen. Eine Fehlstellung der Hufe und damit ungleiche Belastung der Gliedmaßen kann ebenfalls im Laufe der Zeit zu Taktproblemen führen. Natürlich müssen auch Stürze, Verletzungen und postoperative Probleme angeführt werden. Die Liste ist sehr lange. Eine sehr gewichtige Ursache stellt der Reiter selbst dar. Ein starrer, nicht genügend elastischer Sitz, ständiges Festhalten der Zügel und Klemmen der Schenkel verhindern eine losgelassene Bewegung des Pferdes. Auf Dauer schafft dies schwerwiegende Blockaden im Rückenbereich des Pferdes mit den verschiedensten Nachfolgeproblemen. Dies ist ein unendlicher Kreislauf, an dessen Ende das Pferd krank und in keiner Weise mehr leistungsfähig ist. Sein Wohlbefinden ist auf dem Nullpunkt. An so einem Pferd hat auch kein Reiter mehr Reitvergnügen.

Was kann man nun tun, um diese Probleme zu beheben? Leichte Verspannungen lassen sich durch lösendes Reiten oder Longieren beheben. Sind die Blockaden fortgeschritten, hilft reine Bewegungstherapie kaum noch. Hier ist ein Physiotherapeut, Ostheopat oder Chiropraktiker von Nöten. Er kann die Muskelverspannungen im Körper des Pferdes nach und nach lösen. Wie auch bei uns Menschen lassen sich fortgeschrittene Verspannungen nicht mehr von alleine lösen. Hierzu benötigen wir professionelle Hilfe. Dies allein reicht aber nicht aus, um die durch die verspannte Haltung falsch aufgebaute Muskulatur in eine positive, starke Muskulatur umzuwandeln. Auch der Reiter sollte durch versierte Ausbilder sein Bewegungsmuster während des Reitens korrigieren lassen. Geschieht dies nicht, kommt es aufgrund von Fehlhaltungen des Reiters zu muskulären Defekten beim Pferd. Diese Problematik wird in der Praxis leider zu oft unterschätzt.

Ein Therapeut behandelt das Gewebe durch Druck- und Zugreize. Manuelle Manipulationen und der Einsatz von Laser, TENS oder Magnetfeld.sind unumgänglich. Welche Therapie die richtige für das erkrankte Pferd darstellt, muss anhand einer Palpation entschieden werden. Sobald wie möglich muss begonnen werden, das Pferd durch Longieren und Reiten oder die Arbeit am Laufband anzutrainieren. Beim Longieren sollte bevorzugt die Doppellonge zum Einsatz kommen, da hierdurch besser auf die Anlehnung und damit Losgelassenheit eingewirkt werden kann. Das Longieren über Cavaletti hilft die Lockerung des Rückenbereichs durch das deutlichere Abfußen der Hinterhand zu unterstützen. Der Aufbau einer stabilen Bauchmuskulatur ist das A und O um Rückenprobleme langfristig zu therapieren und neuen Verspannungen vorzubeugen. Hierbei ist Geduld von Nöten. Es kann einige Monate bis zu einem Jahr dauern bis sich deutliche Erfolge einstellen. Meist muss erst die falsche Muskulatur (wie Unterhalsmuskulatur) abgebaut werden um den Aufbau von gut arbeitender Reitpferdemuskulatur zu ermöglichen. Besonders ungünstig stellen sich Trainingsunterbrechungen aufgrund von Verletzungen oder Ähnlichem dar. Die Muskulatur baut sich sehr schnell wieder ab und braucht wieder einige Zeit bis sie den bereits erreichten Zustand erneut erreicht. Erst nach gut einem Jahr kann man von einer gewissen Stabilität der Muskulatur ausgehen. Geduld ist also angesagt.

Beim therapierenden Reiten muss besonders auf eine leichte und korrekte Anlehnung Wert gelegt werden. Ein Pferd, das sich auf die Hand des Reiters legt, hält stets seinen Rücken fest. Im Gegenteil soll das Pferd lernen und trainieren, seine Halsung selbst zu tragen, weich am Gebiss zu kauen und sich an das Gebiss heran vorwärts – abwärts, zu Dehnen. Die Dehnungsbereitschaft, wie sie zum Beispiel in Dressurprüfungen beim Zügel aus der Hand kauen gefordert wird, ist die Basis für das Aufwölben des Pferderückens. Hängt der Rücken wegen mangelnder Anlehnung und nicht untertretender Hinterhand durch, besteht die Gefahr, dass sich die Dornfortsätze der Rückenwirbelsäule berühren und Veränderungen entstehen. Dieses Krankheitsbild wird kissing spines genannt und ist weit verbreitet. Ob die Veranlagung zu kissing spines in unmittelbarem Zusammenhang zu Rückenschwierigkeiten beim Pferd steht, ist wissenschaftlich noch nicht sicher belegt. Es gibt hierüber Langzeitstudien, welche zeigen, dass Pferde mit dem kissing spines Syndrom durchaus ohne größere auftretende Rückenprobleme geritten werden können. Sicherlich ist hierfür stets eine gut ausgeprägte Bauch- (und Rückenmuskulatur als Gegenspieler) verantwortlich.

Beim Vorwärts-Abwärtsreiten in Dehnungshaltung muss stets darauf geachtet werden, dass gleichzeitig die Hinterhand des Pferdes zum Vortreten veranlasst wird. Die Hinterhand muss unter den Schwerpunkt des Pferdes fußen. Nur dann kommt die brückenähnliche Konstruktion des Pferderückens zum Tragen und Aufwölben. Meist schnaubt das Pferd ab, wenn der „Rücken aufmacht“, wie die Reiter sagen. Probieren Sie es aus! Das Reiten in Dehnungshaltung hat nur den gewünschten Trainingseffekt, wenn sich das Pferd auch nach vorne zum Gebiss streckt und nicht hinter dem Zügel mit engem Hals bleibt. Wie tief sich der Hals vorwärts-abwärts strecken sollte hängt individuell vom Pferd ab. Wichtig ist es, das Pferd nicht in diese Haltung zu zwingen oder vielleicht sogar Schlaufzügel zu verwenden. Hierdurch wird das Problem meistens noch verschlimmert. Das Pferd soll sich freiwillig in leichtester Verbindung zur Reiterhand so weit nach unten strecken wie es ihm gut tut und ohne zu viel Last auf der Vorhand zu tragen. Achten Sie darauf, dass sich die Halsung aus der Muskulatur am Widerrist trägt. Auch in aufgerichteter Haltung sollte das Pferd stets Dehnungsbereitschaft an die Reiterhand zeigen.

Wird das Pferd korrekt über den Rücken gearbeitet, wirkt dies auch beim gesunden Pferd vorbeugend und lässt keine Rückenbeschwerden aufkommen. Überprüfen Sie in regelmäßigen Abständen auch die Zähne (1 mal im Jahr), Hufe (regelmäßig)und die Sattelpassform (mindestens 2 mal im Jahr), gerade wenn erste Beschwerden aufgetreten sind. Ist dies geschehen wird Ihr Pferd sicherlich willig und rittig mitarbeiten und Sie beide werden viel gemeinsame Reitfreude erleben!

Für weitere Fragen stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung, unter: Clarissa.Busch und JochenLill.