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Anlehnung geben

Auszug aus meinem Buch „Reitlehre leicht gemacht“

 Das Pferd an den Zügel stellen

Das Pferd selbständig ohne Hilfszügel durchs Genick reiten zu können, ist sicherlich der große Schritt vom Anfänger zum guten Reiter. Wenn Sie mit den Hilfszügeln alle Hufschlagfiguren und Lektionen, sowie Ihr Pferd stets in der gewünschten Gangart reiten können, ist es an der Zeit die Hilfszügel auszuschnallen. Sie müssen lernen, das Pferd durchs Genick an den Zügel zu stellen. In korrekter Kopf- und Körperhaltung entspannt das Pferd seine Rückenmuskulatur und läßt den Reiter zum Sitzen kommen. Nur ein Pferd, das über den Rücken geht, kann vom Reiter korrekt geritten werden. Wenn es bei Ihrem Pferd zu schwer ist, es aufgrund fehlender Muskulatur an den Zügel zu stellen, können Sie es auch mit dem Hilfszügel versuchen. Dies muss der Reitlehrer entscheiden. Er oder sie kennen die Pferde und können Ihnen hier Auskunft geben. Der Ausbinder sollte hierzu mit der Zeit immer länger geschnallt werden. Sie wirken ein und versuchen, den Hilfszügel zum Durchhängen zu bringen.

Viel Ganaschenfreiheit und ein gut bemuskelter Hals helfen dem Pferd sich ohne Druck in „Selbsthaltung“ zu tragen

An dieser Stelle möchte ich noch etwas zu der jeweiligen Veranlagung des Pferdes zum Nachgeben im Genick vorausschicken. Nicht jedes Pferd ist gleich einfach oder schwierig an den Zügel zu stellen. Dies hängt vorallem von der Halsform, den Ganaschen und wie der Hals an der Schulter angesetzt ist, ab. Es gibt Pferde, deren Hals ist in der Mitte der Schulter angesetzt, der Hals ist nicht zu lang und nicht zu kurz und hat eine ideale Bemuskelung. Außerdem verfügen diese Pferde oft über eine ausgeprägte Ganaschenfreiheit, was bedeutet, daß unterhalb der Ohrspeicheldrüse des Pferdes genügend Platz ist, dass es bequem seinen Hals wölben und im Genick abknicken kann. Diesen Pferden fällt es leicht am Zügel zu gehen. Dementsprechend haben sie auch einen herrlich geformten Oberhals, der durch das fortwährende Bewegen in korrekter Halsstellung entsteht. Wenn der Reiter hier keine groben Fehler macht, wird das Pferd auf jeden Fall an den Zügel gehen. Leider gibt es aber auch allzu viele Pferde, bei denen der Hals zu tief oder zu hoch angesetzt ist, deren Bemuskelung durch jahrelanges gegen den Reiter Agieren hauptsächlich aus starkem Unterhals besteht und die über wenig Ganaschenfreiheit verfügen. Meist gehören Schulpferde zu dieser Sorte. Aber lassen Sie sich davon nicht entmutigen. Reiten ist auch auf diesen Pferden zu lernen und wer die Schulpferde seiner Reitschule an den Zügel stellen kann, wird mit Privatpferden oder anderen gut gerittenen Pferden mit Sicherheit keinerlei Probleme haben.

Beim an den Zügel Stellen soll erreicht werden, dass das Pferd seine Stirn-Nasenlinie an die Senkrechte heran nimmt und die Halsmuslukatur nach oben aufwölbt. Die Verbindung zur Hand des Reiters wünscht man sich weich und am Gebiss kauend. Das Pferd trägt dabei seinen Kopf und Hals in Selbsthaltung und stützt sich nicht auf den Zügel. Die erste Stufe der Anlehnung ist der gleichmäßige Kontakt zum Pferdemaul.

Gleichmäßigen Kontakt herstellen

Anlehnung ist die elastische Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Der Reiter lernt durch die vortreibenden Hilfen die Verbindung zum Gebiß herzustellen. Das Pferd erhält durch die Anlehnung eine Stütze, um sich besser ausbalancieren und im Takt bewegen zu können. Die Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul ist weich wie ein Gummiband. Der Reiter darf nie ziehen. Auch ruckartige, ungleichmäßige Bewegungen der Hände sind unter allen Umständen zu vermeiden. Voraussetzung hierfür ist der korrekte Sitz des Reiters mit unabhängig von der Bewegung des Pferdes ruhigen Händen.

Ein unabhängiger Sitz in allen Grundgangarten ist die Voraussetzung für eine unabhängige Zügelführung

Zu Beginn wird zum Pferdemaul leichter Kontakt mit den Zügeln aufgenommen. Normalerweise akzeptiert das Pferd dieses ohne Probleme und wird, wenn es gut geritten ist, sofort willig an den Zügel gehen. Die Hände gehen gleichzeitig elastisch in der Bewegung mit. Hierzu bedarf es des lockeren Mitschwingens der Arme des Reiters aus den Schultern heraus, ohne daß der Zügel ruckt oder zieht. Wichtig ist das Treiben mit Kreuz und Schenkeln, um das Pferd anzuregen, nach vorne an das Gebiß heranzutreten. Hierdurch sucht es den Kontakt zum Gebiß. Wenn das Pferd seinen Kopf nach oben wegstreckt, um sich von der Reiterhand freizumachen, müssen Sie den Kontakt mit beiden Zügeln halten, auch auf die Gefahr hin, daß sich das Pferd hierdurch noch mehr nach oben streckt. Es versucht der erst unangenehmen Verbindung zu entkommen. Wie auch Menschen wollen sich Pferde nicht einfach kontrollieren lassen. Erst wird es versuchen, sich in alle Richtungen zu entziehen. Wenn es auch nur ansatzweise in die richtige Richtung, also vorwärts-abwärts sucht, müssen Sie den Druck kurz entspannen. Durch die Belohnung des Nachgebens, wenn es sich nach unten dehnt, versteht es, dass diese Position gewünscht wird. Übersehen Sie das Nachgeben im richtigem Moment, wird das Pferd sich nur noch heftiger wehren, weil es keinen Ausweg aus der unangenehmen Haltung sieht. Also nicht gleich aufgeben, wenn das Pferd sich noch mehr weg drückt, sondern die Zügel gleichmäßig halten und treiben.

Das seitliche Abstellen des Halses kann zuerst im Halten geübt werden

Sie sollten es erst einmal in Ruhe im Halten versuchen, das Pferd an den Zügel zu stellen. Hier geht es leichter. Die Schenkel bleiben trotz des Haltens vortreibend (sie vibrieren leicht am Pferdekörper). Am besten sollten Sie das Pferd nach innen abstellen. Durch die Innenstellung ist es wesentlich leichter, das Pferd zum Nachgeben zu bekommen, weil die Ganaschen leichter nachgeben. Dann sollte der Zügel auf keinen Fall starr nach hinten gezogen werden. Das Pferd drückt mit seiner Zunge das lästige Gebiß von den Laden weg. Dies müssen Sie unterbinden, indem Sie die Zügel leicht abwechselnd links-rechts bewegen. Sie sollten dem Pferd allerdings dabei nicht das Gebiß durch das Maul ziehen und riegeln, da Pferde an eine derart unstete, unangenehme Verbindung noch weniger herantreten wollen. Der Zügel sollte also besser gleichmäßig anstehen und in diesem Anstehen leicht etwas bewegt oder gewackelt werden, so als wollten Sie das Pferd zum Kauen anregen. Die meisten Pferde geben in diesem Moment bereits nach. Das flinke und geschmeidige Bewegen der Zügelfäuste muß allerdings erst geübt werden. Fast immer sind bei Anfängern die Handgelenke sehr steif und kaum beweglich. Das Mitschwingen und Eindrehen der Handgelenke muß geübt werden. Es ist die Basis der Zügeleinwirkung. Der Druck auf den Zügel wird in erster Linie durch den Ringfinger , dann durch ein leichtes Innendrehen der Zügelfaust erreicht. Niemals darf der Zug nach hinten gehen, weil das Pferd dann noch mehr nach vorne drücken würde.

Abkauen

Das Abkauen im Halten ist eine gute Übung um Gefühl für das Nachgeben des Pferdes im Genick zu bekommen. Der Reiter verwahrt im Halten mit den Zügel und Schenkelhilfen und wartet bis das Pferd nachgibt. Es nimmt dabei seinen Kopf tiefer und  beginnt spätestens jetzt mit  der Kautätigkeit. In dem Moment wird die Reiterhand weicher, ohne die Verbindung aufzugeben, und regt das Pferd durch leichtes Bewegen des Gebisses weiter zum Kauen auf diesem an. Das Gebiß soll dabei nicht hin und her gezogen werden, sondern nur durch ein leichtes Bewegen an den Maulwinkeln des Pferdes zum Abkauen inspiriert werden. Der Zügel gibt immer wieder etwas nach und  lässt die Maulbewegung zu. Das Pferd sollte nach einiger Zeit seinen Kopf und Hals entspannt nach unten fallen lassen. Das Kauen am Gebiß ist ein Zeichen der Losgelassenheit, da durch das Fallenlassen im Genick der Zugang zur Ohrspeicheldrüse geöffnet wird und der Speichel zu fließen anfängt. Durch den Speichel im Maul beginnt das Pferd zu schlucken. Es kann auch Schaum an den Lippen entstehen. Dies wird in Dressurprüfungen also positive Begleiterscheinung eines gut am Zügel stehenden Pferdes angesehen. Allerdings gibt es auch Pferde, die Schwierigkeiten mit dem Kauen haben. Meist haben sie es zu Beginn ihrer Ausbildung nicht erlernt und sich ein Leben lang an das stumpfe Festhalten des Gebisses im Maul gewöhnt. Leider ergeben sich hieraus oft Nachfolge Probleme wie das Festhalten im Rücken. Das Schäumen ist nicht unbedingt notwendig, aber ein Loslassen der Kiefermuskulatur und der Zunge auf jeden Fall. Bei ihrem eigenen Pferd sollten Sie sich bei einem derartigem Problem von einem verständnisvollen Profi erstmal helfen lassen.

Das Pferd sollte unaufgeregt und am besten leicht schäumend am Gebiss kauen

Wenn sich das Pferd willig an das Gebiss dehnt, gibt des Reiter solange nach, bis sich der Hals des Pferdes streckt, jedoch ohne die Anlehnung aufzugeben. Er kann dann den Pferdekopf etwas zur Seite nehmen und in der Abstellung abkauen lassen. Dies sollte nach rechts und nach links geschehen, ohne daß das Pferd sich beim Umstellen aus der Anlehnung hebt. Dies hilft die seitliche Abstellung zu verbessern.

Tempo regulieren

Um das Tempo des Pferdes zu regulieren darf der Reiter nur kurzzeitige halbe Paraden geben und niemals am Zügel ziehen. Eine halbe Parade besteht aus einem kurzzeitigen Zusammenwirken aller Hilfen, also vortreibende und verhaltende. Der Reiter fängt bei gleichzeitig vortreibenden Schenkeln und Kreuz weich das Tempo des Pferdes mit den Zügeln ab und gibt sofort wieder nach. Auf gebogenen Linien oder in der Stellung übernimmt hauptsächlich der äußere Zügel die Temporegulierung. Der innere ist lediglich für die Stellung zuständig und hält beim Abfangen nur leicht gegen.

Widersetzlichkeit des Pferdes

Nimmt das Pferd die angebotene Verbindung zur Reiterhand nicht an, muß es durch vortreibende Hilfen an die verwahrende Zügelfaust heran getrieben werden. Wenn es den Hals fallen läßt, wird sofort nachgegeben, ohne jedoch dabei den Zügel durchhängen zu lassen. Im Schritt sollte das Durchstellen des Pferdes vorerst unterlassen werden, um die Schrittfolge des Pferdes nicht zu gefährden. Idealerweise wird das Pferd im Arbeitstrab an die Hilfen gestellt.

Zufriedenes Abkauen und das Gebiss suchen sollte zu Beginn, am Ende und in den Pausen für das Pferd selbstverständlich sein

Solange das Pferd sich durch Hochdrücken des Kopfes oder seitliches Ausweichen versucht zu entziehen, hält der Reiter die Zügel durch (ohne diese jedoch zu sich zu ziehen) und treibt verstärkt nach vorne. Sobald das Pferd merkt, daß es durch das Wegdrücken keinen Erfolg hat und sich die Verbindung nicht lockert, wird es versuchen „in eine andere Richtung zu entkommen“ und den Kopf auch in die vom Reiter gewünschte Richtung vorwärts-abwärts strecken. Hier muß nun sofort etwas nachgegeben und das Pferd mit der Stimme belohnt werden. Wie weit nachgegeben wird, sollte vom Nachgeben des Pferdes im Genick abhängig sein. Je nach dem wieviel das Pferd losläßt, wird der Zügel mehr nachgegeben. Dann beginnt das Ganze von vorne, wieder an die Hand herantreiben und nachgeben, sobald es die gewünschte Dehnungshaltung annimmt.

Weiterhin erfolgt das „Bremsen“ des Pferdes durch den Sitz. Um das Tempo des Pferdes ruhiger und schwingender zu machen, müssen Sie lernen im Beckenbereich loszulassen und Ihr Gewicht im Sattel locker fallen zu lassen, hierdurch wird direkt auf die Hinterhand des Pferdes eingewirkt und diese zum ebenfalls Loslassen der Gelenke der Hinterhand veranlasst. Dies lässt die Tritte des Pferdes länger und damit ruhiger werden. Tempo ist stets abhängig vom Rhythmus der Beinbewegung des Pferdes. Ein vermehrtes Beugen der Hinterhand lässt das Pferd mehr über den Rücken schwingen. Sie kommen besser zum Sitzen und erlangen mehr Kontrolle über das Tempo.

Im Galopp wird generell eine leichte innen hohl Stellung im Hals gegeben

Ursachen für den Widerstand im Genick

„Sich-gegen-den-Zügel-Wehren“ ist nicht automatisch als Widersätzlichkeit des Pferdes zu werten. Normalerweise sind hier zwei Ursachen zu nennen: zum einen die unruhigen Hände des nicht korrekt sitzenden Reiters, sowie falsche Einwirkung über einen längeren Zeitraum. Zum anderen wehren sich oft temperamentvoll vorwärts gehende Pferde gegen den „bremsenden“ Zügel. Das unerfahrene Pferd versteht die Bedeutung des annehmenden Zügels noch nicht. Es spürt Widerstand im Maul, der es beim Vorwärtsgehen stört. Um diesem Widerstand zu entgehen, versucht das Pferd „davonzulaufen“ in dem es noch schneller wird und sich noch mehr wehrt. Für ein Fluchttier ist das die normale Reaktion. Viele Reiter glauben, daß das Pferd von Natur aus versteht, was mit einem Ziehen an den Zügeln vom Reiter gemeint ist. Dies ist ein Irrtum. Das Pferd muß erst lernen auf den verhaltenden Zügel richtig, d.h. artwidrig nicht mit Davonlaufen zu reagieren. Durch die begleitende Stimme und halbe Paraden wird dem Pferd klargemacht, was die kurze annehmende Zügelhilfe zu bedeuten hat. Aber dennoch wird es auch später versuchen davon zu laufen, wenn ein ungeübter Reiter ständig am Zügel zieht.

Geschmeidiges nach vorne in der Bewegung mitgehen macht die Anlehnung für das Pferd angenehm und vertrauensvoll

Die Halsmuskulatur ist ebenfalls ausschlaggebend für das Nachgeben des Pferdes im Genick. Wird das Pferd oft in korrekter Halshaltung geritten, entwickelt es entsprechend die richtigen Muskeln, die es ihm leicht machen, im Hals nachzugeben. Geschieht dies aber nicht, entwickeln sich fehlerhafte Muskeln, die eine korrekte Anlehnung erschweren. Das Reiten mit Hilfszügeln verstärkt stets die fehlerhafte Unterhalsmuskulatur und ist damit eher hinderlich als hilfreich, um das Pferd ohne Hilfszügel durch Genick zu reiten.

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