Über den Rücken
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Über den Rücken des Reitpferdes

Der Rücken des Pferdes ist nicht nur ein Körperteil, sondern die Basis, auf der der Reiter zum Sitzen kommt, der das Pferd zum Schwingen bringt und ohne den sozusagen nichts geht. Ist es Zufall, dass immer mehr Pferde in der heutigen Zeit steif, festgehalten und oft auch ungleich, d.h. nicht taktmäßig abfußend, gehen? Gibt es Zusammenhänge zwischen modernen, elastisch schwingenden Sportpferden mit überdimensionalem Bewegungspotential und immer mehr auftretenden Rückenproblemen? Ist das nur ein Zufall? Sind die Pferde und deren Rücken heute anfälliger? Wird heute schlechter geritten? Namhafte Tierärzte und Ausbilder beschäftigen sich intensiv mit diesem Phänomen, weil es immer mehr auf Turnierplätzen und in den heimischen Reithallen auftritt.

Als Ausbilderin und Turnierrichterin werde ich immer öfter mit deutlichen Rückenproblemen bei Reitpferden konfrontiert, da sie sich im Bewegungsablauf zeigen und als Taktunreinheiten bei Dressurpferden und Widersetzlichkeiten bei Problempferden auftreten. Seit vielen Jahren löse ich Rückenverspannungen bei Sport- und Freizeitpferden. Gleichzeitig unterstütze ich Pferdebesitzer und Reiter im korrekten Aufbau der Rückenmuskulatur bereits im Vorfeld um derartige Probleme gar nicht erst entstehen zu lassen. Sehr oft stoße ich dabei auf reichlich Unwissen bezüglich des sensiblen Pferderückens und die Zusammenhänge mit dem korrekten Training. Verschiedene bundesweite Untersuchungen ergaben, dass die meisten Reiter unzureichende Kenntnisse über die Verbindung Anatomie und Ausbildung haben. Die moderne Zucht bringt immer bessere Pferde mit immer dynamischeren, elastischeren Gängen und mehr Springvermögen hervor, deren extrem schwingende Pferderücken gleichzeitig immer anfälliger für Beschwerden und Blockaden werden. Die Essenz der Studien: Es wird heute in der Regel nicht schlechter geritten als früher, aber unwissender und teilweise viel zu schnell das angebotene Potential der veranlagten Pferde ausgenutzt ohne eine korrekte Basis in der Ausbildung zu schaffen. Durch ihre Flexibilität und Sensibilität verzeihen die Pferderücken weniger ungünstige Druckverhältnisse. Deshalb ist schonendes und angepasstes Reiten und eine rückenfördernde Grundausbildung von Nöten.

Schwungvolle moderne Sportpferde bieten sich bei der Ausbildung gut an, bekommen aber auch schnell Probleme, wenn sie keine stabile Muskulatur aufweisen

Physiotherapie und Ostheopathie eine Modeerscheinung?

Physiotherapeuten und Ostheopaten für Pferde schießen heutzutage wie Pilze aus dem Boden. Es stellt sich die Frage: Werden sie wirklich gebraucht oder handelt es sich nur um eine Modeerscheinung? Ja, sie werden definitiv gebraucht. Warum aber braucht man sie heute scheinbar mehr als früher oder gab es sie früher einfach nicht? Das moderne Sportpferd wird mit immer schöneren, elastischeren Bewegungen gezüchtet und man ist zu Recht stolz auf die hohe Anzahl der Pferde mit schwungvollem Grundgangarten und beeindruckender Springbascule vor allem aus deutscher Zucht. Ausdrucksstarke Bewegungen kommen nur durch einen gut schwingenden Rücken zustande. Die Kehrseite der Medaille liegt aber darin, dass diese Pferde wesentlich anfälliger für Rückenbeschwerden gleich welcher Art sind. Früher waren die Pferde robuster, aber auch mit weniger Gang ausgestattet. Oft waren sie von Natur aus schwer zu sitzen. Oft zeigten sie einen harten Bewegungsablauf mit stampfenden Hufen. Kein Vergleich zum leichtfüßigen Tanzen der heutigen Pferdegeneration. Allerdings waren die Pferde früher auch weniger empfindlich.

Deshalb ist es durchaus sinnvoll, die Pferde bei Bedarf manuell therapieren zu lassen. Wie auch bei uns Menschen ist eine gute Muskulatur und sinnvolle Gymnastik Grundvoraussetzung für einen gesunden Rücken. Treten jedoch Probleme auf, reicht oftmals reine Bewegungstherapie nicht mehr aus um Verspannungen zu lösen. Dann wird ein Therapeut benötigt. Er kann allerdings keine Wunder bewirken. Er löst die Muskulatur. Für den positiven Aufbau der Muskulatur im Anschluss wird ein speziell auf das jeweilige Pferd angepasstes Bewegungsprogramm benötigt. Grundvoraussetzung ist allerdings, dass die Ursachen für die Verspannungen abgestellt werden. Ursachen für Verspannungen können vielfältig sein: Passform des Sattels, Stellung der Gliedmaßen, Zustand der Zähne und die reiterliche Einwirkung. Wie bei einem Puzzle muss alles zusammenpassen, damit das Pferd in der Lage ist, sich gemäß seinem Können und seiner Veranlagung zu präsentieren.

Das Pferd ist von seiner Konstruktion ein Lauftier, kein Tragetier, d.h. das Pferd ist nicht zum Reiten geboren. Diese Tatsache muss immer wieder bedacht werden, um die vielfache Rückenproblematik zu verstehen. Das Hauptaugenmerk liegt hier auf der Mittelhand des Pferdes:

Die Rückenwirbelsäule eines normalen Pferdes befindet sich bis zu 30 cm tief im Thoraxbereich des Pferdekörpers. Was man zum Beispiel am Widerrist spüren kann ist nicht die Wirbelsäule sondern es sind die jeweiligen Dornfortsätze der Wirbelsäule in der Sattellage. Bei der Betrachtung der Dornfortsätze können wir feststellen, dass diese vom Widerrist aus leicht nach hinten und ab den mittleren, senkrecht stehenden Dornfortsätzen nach vorne gerichtet sind. Wenn nun die Mittelhand aufgrund fehlender Muskulatur absinkt, besteht die Gefahr, dass sich die Spalten zwischen den Dornfortsätzen verengen oder sich sogar berühren. Dieses Syndrom nennt sich landläufig „kissing spines“ (korrekt: Baastrup Syndrom). Wie stark dieses Problem das Pferd einschränkt, kann man meines Erachtens nicht nur durch einfaches Röntgen feststellen. Vielmehr wäre es sinnvoll, bei Verdacht den Rücken des Pferdes in Ruheposition und bei Belastung in korrekter Haltung zu röntgen. Erst dann könnte wissenschaftlich belegt werden, in wieweit die Verengung der Spalten das Pferd bei der Arbeit wirklich stören. Gehen die Dornfortsätze beim Aufwölben des Rückens auseinander, muss keine Bewegungseinschränkung vorliegen. Es gibt viele Pferde mit diesem Befund, die aber muskulär gut aufgebaut sind und ihr Leben lang ohne Rückenschmerzen laufen. Allerdings kann der wissenschaftliche Befund der kissig spines ohne eine entsprechende Muskulatur schmerzhafte Rückenprobleme mit sich bringen.

Die Wirbelsäule des Pferdes verliert an Elastizität, meist begleitet von starkem örtlichen Druck- und Kreuzschmerzen. Hierbei schleifen sich die Dornfortsätze gegenseitig ab. Dieses Dilemma kann ausschließlich durch das Training der Bauchmuskulatur beseitigt werden, solange die Auswirkungen noch nicht zu gravierend sind. Pferde mit einem noch nicht fortgeschrittenem kissing-spines Befund zu therapieren und als Reitpferd wieder fit zu machen ist mir mit Physiotherapeutischer Unterstützung meines Autorenkollegen Jochen Lill bereits mehrfach gelungen. Sogar die Röntgenbefunde der jeweiligen Pferde haben sich dabei und 1 bis 2 Grad verbessern lassen. Wenn zu lange gewartet wird und bereits Schädigungen an den Dornfortsätzen aufgetreten sind, hilft aber unter Umständen nur noch eine Operation, die allerdings dann nicht gewährleistet, dass auch das Schmerzgedächtnis des Pferdes und das angeeignete ungleiche Abfußen wieder zu rehabilitieren ist. Deshalb sollte man bei ersten Anzeichen handeln…

 

 

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