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Anlehnungsbedürftig

Anlehnung ist die Verbindung zwischen Reiterhand und Pferdemaul. Diese soll weich und elastisch geführt werden. Der Reiter muss durch die vorwärts treibenden Hilfen die Verbindung zum Gebiss herstellen. Die Zügelführung sollte elastisch wie ein Gummiband sein, um den Halsbewegungen des Pferdes in jeder Phase nachfolgen zu können.

Der Reiter darf nie ziehen!

Die Erfahrung lehrt: In sehr vielen Fällen ist gerade die Anlehnung der Schwachpunkt einer Dressurvorstellung. Ein Pferd, das nicht sicher am Zügel steht, wird sich in der Prüfung immer mit Problemen zeigen. Meist verbessert sich die Einwirkung des Reiters gerade unter der Stresssituation einer Prüfung nicht. Durchgehende Anlehnungsprobleme in allen Grundgangarten führen zu deutlichem Punktabzug und machen ein platzierungswürdiges Ergebnis fast unmöglich. Besonders in einer Dressurreiterprüfung ist die sichere Einwirkung auf die Anlehnung wichtig.

Dauerhafte Anlehnungsprobleme müssen natürlich im täglichen Training und nicht auf dem Turnierplatz langfristig korrigiert werden. Nur wenn die Verbindung zum Pferdemaul sicher und stetig ist, ist es sinnvoll aufs Turnier zu fahren, zumal sich derartige Probleme in fremder Umgebung eher noch verstärken. Auf dem Abreiteplatz und in der Prüfung kann es wegen „Kuckigkeit“ der Pferde zu Anlehnungsschwierigkeiten kommen. In diesem Fall sollte der Reiter ruhig bleiben und mit den vertrauten Hilfen reagieren. Nimmt das Pferd die Verbindung nicht an, muss es durch vorwärts treibende Hilfen an die verwahrende Zügelfaust herangetrieben werden. Wenn es den Hals fallen lässt, wird die Hand sofort nachgiebig und weich – ohne jedoch die Zügelverbindung aufzugeben.

 

Auf Linie: die Zügelführung

Um das Pferd an den Zügel zu stellen ist die Handhaltung der Zügelfaust besonders beachtenswert. Die Zügelfaust steht aufrecht und greift den Zügel unverdreht zwischen kleinem und Ringfinger. Bei geschlossener Faust liegt der Zügel über dem Zeigefinger und wird vom dachförmig geschlossenen Daumen gehalten. Diese Art der Zügelhaltung ist kein Selbstzweck – vielmehr verhindert sie ein Durchrutschen des Zügels.

Unterarm, Handrücken und Zügel bilden eine gerade Linie zum Pferdemaul, die seitlich am Pferdehals anliegt. Die Zügelfäuste stehen ungefähr eine Handbreit auseinander, also keinesfalls breit neben dem Widerrist, wie dies oft in unteren Klassen gezeigt wird. Die Finger werden um den Zügel geschlossen, die Handgelenke bilden die elastisch gefederte Verbindung zum Maul. Steife und verdeckte Zügelfäuste (die Handflächen zeigen nach unten) haben eine starre Zügelführung zur Folge, die das Pferd nicht weich an das Gebiss heran dehnen lässt. Es versucht sich eher bei jeder Möglichkeit zu entziehen und reagiert eventuell mit Kopfschlagen.

Die Einwirkung erfolgt durch das Zusammenspiel annehmender und nachgebender Hilfen bei gleichzeitigen Kreuz- und Schenkelhilfen. Annehmend wird die Faust kurze Zeit mehr geschlossen oder in höherer Dosierung das Handgelenk etwas nach innen gedreht. Unmittelbar bei nachgebender Reaktion des Pferdes kommt die Faust zurück in die Ausgangshaltung. Beides soll geschmeidig und nicht ruckartig erfolgen und gegebenenfalls mehrfach wiederholt werden.

Das nach unten Drücken der Hand ist auf jeden Fall zu vermeiden, da es der Anlehnung auf Dauer nur schadet.

Nachgefasst: das Zügelmaß

Das Zügelmaß muss ständig korrigiert werden, dies gilt für Training und Prüfung. Ein zu lang gewordener Zügel wirkt stets rückwärts. Das Nachfassen wird in der Dressurprüfung leider oft zu wenig oder unkorrekt gezeigt. Der nachzufassende Zügel wird von der gegenüberliegenden Hand gehalten, während die Finger der Zügelfaust zentimeterweise am Zügel nach vorne greifen und im Anschluss die Faust wieder schließen. Vorzugsweise sollte öfter wenig nachgefasst werden und nicht auf einmal ruckartig zu viel. Dies stört die Verbindung zum Pferdemaul, besonders wenn ohne Gegenhalt der anderen Hand abrupt und eilig nachgegriffen wird.

Für das Pferd sollte sich die Verbindung eigentlich stets gleich anfühlen. Ein zu lang gewordener Zügel zieht rückwärts Richtung Becken und beeinträchtigt das Mitschwingen der Mittelpositur (Hüfte und Becken).

 

Angenommen: An den Zügel stellen

Annehmende Zügelhilfen werden dosiert in Verbindung mit vorwärts treibendem Schenkel bei gutem Einsitzen gegeben, um die Sensibilität des Pferdemauls zu erhalten und keinen Widerstand zu provozieren. Bei einem korrekt ausgebildeten Pferd hält der Reiter eine elastische Verbindung zum Maul ohne Durchhängen der Zügel und treibt das Pferd von hinten ans Gebiss heran, bis es sich am Gebiss abstößt und in Anlehnung kommt. Die Hände dürfen den Bewegungsablauf nicht stören. Wenn eine leichte Hilfe mit Ringfinger und Faust wie das „Schwamm ausdrücken“ nicht ausreichend ist, kann verstärkt die Zügelfaust leicht nach innen gedreht werden. Dies jedoch ohne Einknicken im Handgelenk.

Das Gebiss sollte auf den Unterkiefer abwärts wirken und nicht am Maulwinkel rückwärts ziehen!

 

Feinschliff: Auf Kandare reiten

Ab der Kl. L wird das Reiten auf Kandare verlangt. Höhere Dressurprüfungen für weiter ausgebildete Pferde werden fast immer auf Kandare geritten. Vor Verwendung der Kandare sollte das Pferd sicher und durchlässig auf Trense an den Hilfen des Reiters stehen. Die Kandareneinwirkung stellt eine Verfeinerung der Zügelhilfen dar, nicht eine Verstärkung. Die sichere Anlehnung und eine sitzunabhängige Zügelführung sind die Voraussetzung (siehe auch BAYERNS PFERDE 3/14). Die Überprüfung des Zügelmaßes und bei Bedarf mehrfaches feines Nachgreifen des Zügels der Unterlegtrense und/oder der Kandare sind von besonderer Wichtigkeit. Die Kinnkette sollte nach rechts ausgedreht, möglichst mit einer Gummi oder Lederunterlage versehen sein, und so eingehängt, dass der Kandarenanzug im 45° Winkel zur Maulspalte steht.

Es gibt verschiedene erlaubte Varianten der Zügelführung wie die geteilten Zügel (also zwei Zügel in jeder Hand), dabei entweder der Trensen oder der Kandarenzügel oben, also über Kreuz oder geteilte Zügel. Die Aufnahme der Zügel kann wie bei der Trensenführung oder geteilt mit den Fingern erfolgen, dies bleibt dem Reiter überlassen.

Möglich ist auch die Zügelführung 3:1, also beide Kandarenzügel in einer Hand und die Trensenzügel rechts und links. Dies sieht man aber heutzutage kaum noch.

Besonders wichtig für das Kandarenreiten ist eine nachgiebige, feine Zügelführung. In Wendungen darf nicht am Gebiss hängen geblieben werden, dies würde zum Verwerfen führen.

 

Anlehnungsfehler I: Gegen oder über dem Zügel

Das Pferd wehrt sich gegen die Hand und nimmt den Kopf extrem nach oben heraus oder drückt gegen das Gebiss. Die Unterhalsmuskulatur ist deutlich angespannt und der Rücken stets weggedrückt. Handelt es sich um einen schon seit längerer Zeit bestehenden Fehler, hat sich die Muskulatur des Pferdes bereits zum Negativen verändert, falsche Muskeln im Unterhalsbereich sind gestärkt, korrekte Oberhalsmuskulatur ist kaum vorhanden. Dann wird die Korrektur sehr schwierig. Longieren über den Rücken mit korrekt verschnallten Ausbindezügeln von „Kurz zu Lang“ ist hilfreich.

Auch beim Reiten wird zuerst die Dehnungshaltung (vorwärts-abwärts) angestrebt. Unterstützend wirkt das Reiten in Stellung und Biegung, von Übergängen und eventuell Schenkelweichen, wenn das Pferd das beherrscht. Die Hinterhand muss dabei stets fleißig am Untertreten gehalten werden. Die Turnierteilnahme sollte in diesem Fall erst erfolgen, wenn die Anlehnung vollständig korrigiert ist.

Anlehnungsfehler II: Hinter dem Zügel

Die Stirn-Nasenlinie des Pferdes kommt hinter die Senkrechte und fast immer fehlt das stetige Annehmen des Gebisses. Die Korrektur ist langwierig und bedarf einiger Erfahrung. Das Vortreiben der Hinterhand in Verbindung mit einer nach vorne gehenden Hand, die die Dehnung anbietet, bringt das Pferd wieder ans Gebiss heran. Bleibt es beim Nachgeben in kurzer Haltung hinter dem Zügel muss immer wieder von „Kurz zu Lang“ gearbeitet werden,  also Verbindung zum Maul auch am kürzeren Zügel aufnehmen und dann energisch nach vorne treiben und das Pferd vorwärts-abwärts dehnen lassen. Das kurzzeitige Engwerden im Hals muss während der Korrekturphase in Kauf genommen werden. Dies ist auch an der Longe sinnvoll.

Oft ist der Anlehnungsfehler mit „Klemmen“  im Vorwärts verbunden, zur Korrektur muss dann erst schwungvolles Vorwärtsgehen erreicht werden, eventuell auch im Gelände. Die korrekte Zügelführung mit tiefer Hand und gerader Linie über Unterarm, Handrücken und Zügel ist hier unerlässlich.

 

Anlehnungsfehler III: Falscher Knick

Ein weiteres Problem, das oft im Zusammenhang mit dem Engwerden im Hals entsteht, ist der Falsche Knick. Nicht das Genick zwischen den Pferdeohren ist der höchste Punkt, sondern fälschlicherweise der dritte oder vierte Halswirbel. In der Seitenansicht, aber auch von vorne auf der Mittellinie ist das für den Richter deutlich erkennbar. Sollte dies in der Prüfung durchgehend zu sehen sein, ist der Ritt nicht platzierungswürdig.

Ein kurzfristiges Tiefkommen (wie beispielsweise beim Halten) oder der stark bemuskelte Halsaufsatz eines Hengstes, der auch bei korrekter Einwirkung des Reiters und getragenem Genick dieses nicht immer als höchste Stelle präsentiert, muss von den Richtern sachkundig eingeschätzt werden und kann je nach Grad wenig oder gar nicht in Abzug gebracht werden. Die Korrektur in die Dehnungshaltung ist langwierig und muss den Aufbau der falsch angesetzten Halsmuskulatur einbeziehen, um das Problem überhaupt abstellen zu können.

 

Anlehnungsfehler IV: Auf dem Zügel

Manche Pferde stützen sich richtiggehend auf den Zügel und das Gebiss. Immer ist das mit einem „auf die Vorhand kommen“ verbunden. Das Pferd trägt den Hals tief und ohne Selbsthaltung, meist fest im Maul. Manche Pferde sperren das Maul auch auf. Schulterfreiheit und erhabenes Bergauf sind hier nicht möglich.

Die Korrektur erfolgt durch fleißiges Vortreiben und Lastaufnahme in der Hinterhand und Aufrichten im Vorhandbereich sowie Verbessern der Maultätigkeit.

 

Anlehnungsfehler V: Verwerfen

Das Pferd hält den Kopf schief, die Ohren sind nicht auf gleicher Höhe. Dies sieht man oft in Volten oder Seitengängen wie Schulterherein oder Traversale, also wenn Stellung und Biegung verlangt wird. Es führt natürlich zu deutlichen Abzügen in der Note. Sehr oft liegt es an einem zu fest gehaltenem äußeren Zügel in der Abstellung. Gerade der linke Zügel wird von vielen Reitern auf der rechten Hand in Wendungen viel zu wenig nach vorne mitgenommen. Korrekterweise wird der äußere Zügel ohne Verlust der Verbindung soweit nachgegeben wie der Innere verkürzt wird, dann verwahrt.

Zur Korrektur des Verwerfens muss der Kopf des Pferdes gerade gestellt werden und erneut elastisch zwischen beiden Zügeln gestellt werden, anfangs nur ganz wenig bis sich das Schieflegen verbessert. Ein Training ohne auf das Problem einzugehen, verschlimmert es drastisch.

Anlehnungsfehler VI: Zungenfehler

Ein korrekt gerittenes Pferd hat ein tätiges kauendes Maul. Es soll nicht aufgesperrt werden oder knirschen. Leichte Schaumbildung an den Lippen ist erwünscht. Zungenfehler, wie das deutliche dauerhafte oder nur zeitweise Sichtbarwerden oder Hochziehen der Zunge während der Prüfung, werden als Mängel gewertet. Dabei kommt es auf die verschiedenen Formen an: Wird ein kurzes Stück der Zunge geringfügig zwischen den Schneidezähnen vereinzelt gezeigt, ist dies eher eine unwesentliche Beeinträchtigung. Ein dauerhaftes Zeigen ist stets mit mangelnder Kautätigkeit verbunden. Wird die Zunge seitlich geringfügig sichtbar, dabei aber noch korrekt in der Mitte des Maules liegt, wird eher von einer Angewohnheit ausgegangen, auch hier ist die Maultätigkeit zu beachten. Ebenso wird Lippenklappern ohne weitere Anzeichen von mangelnder Losgelassenheit betrachtet.

Hängt die Zunge aber einseitig weit heraus und kann durch die Reitereinwirkung nicht beeinflusst werden, darf die Note keinesfalls über 5 liegen! Im getrennten Richten bei jeder Lektion, in der für den Richter die Zunge klar sichtbar wird, nicht mehr als 5 sowie eine zusätzliche Berücksichtigung in den Gesamtnoten Anlehnung und Durchlässigkeit. Bei ständigem Hochziehen der Zunge mit offenem Maul, oft beim Rückwärtsrichten, wird gleichermaßen verfahren. Kommt die Zunge des Pferdes über das Gebiss und kann nicht mehr zurückrutschen, hauptsächlich bei Prüfungen auf Kandare, muss der Reiter abgeläutet werden. Die Kandare ohne Abpolsterung der Zunge würde auf den Laden starke Verletzungen verursachen. Die Ausführung der Lektionen ist in so einem Fall eh unmöglich, das Pferd entzieht sich wegen der Schmerzen in der Regel komplett der Einwirkung.

 

Die Kontrolle: Überstreichen

Zur Überprüfung der Anlehnung wird das Überstreichen in Dressurprüfungen verlangt. Hierbei gehen beide Zügelfäuste (oder wenn angegeben nur die innere Hand) etwa zwei Handbreit am Mähnenkamm entlang nach vorne bis der Zügel keine Verbindung mehr zum Pferdemaul hat. Dies wird für zwei bis drei Pferdelängen verlangt. Das Pferd soll sich dabei in Selbsthaltung bei gleichem Takt und Tempo wie vorher tragen ohne die runde Oberlinie im Hals zu verlieren oder sich freizumachen. Die Stirn-Nasenlinie darf leicht vor die Senkrechte kommen. Der Reiter behält es am Kreuz. Danach wird der Zügel wieder sachte aufgenommen und das Pferd sollte wieder weich an den Zügel kommen.

 

Zügel aus der Hand kauen lassen

Hier wird der Zügel stückchenweise verlängert und das Pferd aus der Hand kauend in die Dehnungshaltung vorgelassen. Die Verlängerung erfolgt elastisch ohne die Verbindung aufzugeben. Das Pferd geht dann am langen Zügel mit runder Oberlinie im Hals. Das Maul sollte sich mindestens auf Höhe der Buggelenke befinden. Die Stirn-Nasenlinie bleibt vor der Senkrechten, das Genick ist vorübergehen nicht mehr der höchste Punkt.

Oft wird diese Lektion mit dem Hingeben der Zügel verwechselt, hier wird die Zügelverbindung jedoch nicht aufgegeben.

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