Buchbesprechung
Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier 2011 Artikel
Am Anfang steht der Versuch einer Erklärung: „Die moderne Zucht bringt immer bessere Pferde mit immer dynamischeren, elastischeren Gängen und mehr Springvermögen und Vorsicht hervor, deren extrem schwingende Pferderücken gleichzeitig immer anfälliger für Beschwerden und Blockaden werden. Die Reiter reiten heute in der Regel nicht schlechter als früher.“ Wer nun befürchtet, dass die Autoren Clarissa Busch und Jochen Lill mit dieser These einen weiteren Beitrag zur FN-Reitlehre-Kritik im Stile von Gert Heuschmann und Philippe Karl liefern, wird angenehm enttäuscht: Clarissa Busch und Jochen Lill unterbreiten in ihrem Ende 2010 erschienenen Buch „Über den Rücken“ jenseits aller Rollkur-Debatten einen versöhnlichen und praxisnahen Lösungsansatz für Pferde mit Rückenproblemen.
Clarissa Busch ist Pferdewirtin Schwerpunkt Reiten und Turnierrichterin. Sie beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit der Ausbildung von Pferden und Reitern aller Klassen, seit einigen Jahren mit Schwerpunkt Rückentherapie von Pferden. Mit Beritt therapiert sie rückengeschädigte Pferde und unterrichtet die Reiter in rückenschonender Reitweise. So manches Pferd war wegen dauernder Lahmheit und massiven Rittigkeitsproblemen schon ein Fall für den Schlachter und ging mit ihrer Hilfe wieder zurück in den Sport. Sie ist u.a. Autorin der Reitlehrbücher „Was der Dressurrichter sehen will“, „Pferdetraining nach Dressurprotokoll“ und „Springreiten leicht gemacht“, die in viele Sprachen übersetzt und in mehrfachen Auflagen erschienen sind. Zusammen mit ihrem Co-Autor, dem ehemaligen Vielseitigkeitsreiter und Physiotherapeuten für Pferde Jochen Lill, geht sie dem Phänomen „Rückenprobleme“ auf den Grund.
Das Buch ist in zwei Abschnitte untergliedert: Der erste Teil – Physiotherapie – befasst sich mit der Diagnose der Rückenprobleme. Hier werden in einfacher Sprache die anatomischen Grundlagen, Symptome von Rückenproblemen und deren mögliche Ursachen erläutert (z.B. Unrittigkeit, Kopf- und Schweifschlagen, aber auch Fehlstellungen, unpassendes Sattelzeug). Praxisnah wird dem Leser aufgezeigt, wie er mit einfachen Mitteln feststellen kann, wann Handlungsbedarf besteht. Dieser Teil dient als Wegweiser zur Konsultation eines Physiotherapeuten und gibt keine Ratschläge zur eigenmächtigen Therapie.
Im Abschnitt Rückenschule befasst sich Clarissa Busch mit dem Aufbau der Rückenmuskulatur, dem rückengerechten Sitz des Reiters und den Basics des „Durch das Genick und Über-den-Rücken-Reitens“. Auch hier geht die Autorin nicht auf Konfrontationskurs mit der klassischen Reitlehre, sondern leistet Übersetzungshilfe für die Korrektur von Rückenproblemen beim Pferd. Anders als andere Lehrbücher, die vom Ideal eines rittigen, durchgymnastizierten Pferdes ausgehen, gibt die Autorin Tipps aus ihrer Praxis, wie z.B. über die richtige Zügelführung und die Aktivierung der Maultätigkeit auch die Rückentätigkeit verbessert und der Teufelskreis verspanntes Pferd – verspannter Reiter – verspanntes Pferd durchbrochen werden kann. Dabei bedient sie sich einer anschaulichen, bilderreichen Sprache, die völlig ohne Skizzen auskommt. Pferd und Reiter werden stets ganzheitlich und mit Respekt betrachtet. Dass ihre Methode funktioniert, beweisen nicht zuletzt die Erfahrungsberichte ihrer Schüler, die auf den letzten Seiten des Buches ebenfalls zu Wort kommen.
Fazit: Das Buch ist eine praxisnahe Hilfe für alle, die sich nicht mit theoretischen Grabenkämpfen um die „richtige“ Reitlehre beschäftigen möchten. Statt mit dem Geodreieck die Einstellungswinkel nachzumessen, erhält der Leser nachreitbare Tipps zur Verbesserung von Takt, Losgelassenheit, Anlehnung und Schwung – eben über einen schwingenden Rücken.